Pater Marchesano schnaufte. Und wie er schnaufte. In seiner schweren Robe, mit den 30 Kilogramm Übergewicht sowie einer durchs Dauerrauchen lädierten Lunge, waren für ihn alleine die 20 Treppenstufen zur katholischen Inselkapelle hoch eine Herausforderung. Aber eigentlich war dies Märki, wie ihm die Berner Kollegen sagten, herzlich egal. Er war nun halt einmal ein Genussmensch, ein zutiefst überzeugter Genussmensch. Und er mochte das Leben und den Job wie sie sich gerade präsentierten. Immer. Zu jedem Zeitpunkt. Keine schlechten Voraussetzungen für den Beruf als Seelsorger, wie er immer wieder zufrieden feststellte. Dafür war er auch dankbar. Und diese Dankbarkeit leitete er regelmässig gegen oben weiter. Sein Chef war ein guter Chef, das wusste er.
Heute war ihm aber etwas schwer ums Herz. Er musste die Abdankung eines 15-jährigen Mädchens leiten, das an Krebs gestorben war. Und da kam sie dann immer, diese Fairnessfrage – warum er/sie, warum jetzt, warum so früh – welche nicht nur Eltern regelmässig stellten. Sie war ein allgemeines seelsorgerisches Dilemma, das Pater Marchesano immer wieder zu durchdringen versuchte. In seiner bisweilen jovialen Art würde er manchmal am liebsten sagen: „You know, sometimes you win, sometimes you loose – that’s fucking life.“ Aber sein Herz gab ihm da selbst oft einen Zwick und er versuchte Trost zu spenden, so gut es ging. Platz für die Trauer zu schaffen, soweit dies nur irgendwie möglich war. Ja und manchmal half auch der kurze Unterbruch mit einer gemeinsamen Zigarette, wenn er denn merkte, dass unter den Trauernden Raucher waren. Pfarrer Marchesano war da flexibel.
Überhaupt war das wohl seine grösste Stärke, seine Flexibilität. Er griff zum Trösten auf einen fast unerschöpflichen Fundus von Geschichten, Bildern, Bibelstellen, Atmungsübungen und Scherzen zurück, die er situationsbedingt anwendete. Dieses Offenherzige, seine unerschütterliche Geduld beim Zuhören und eben sein Humor wurden allseits geschätzt. Man könnte sagen, was ihm an körperlicher Fitness fehlte, machte er mit seinem spirituellen Universum locker wett. In diesem Bereich bewegte er sich leichtfüssig und zielsicher. Pater Marchesano war also auf seine ureigene Art enorm erfolgreich.
Er wusste aber auch, dass dies mit einer Kerneigenschaft zu tun hatte, ohne die das nie und nimmer möglich wäre: War er mit einer Verpflichtung fertig, konnte er sich sofort und mit voller Wucht der Gegenwart, dem Leben da draussen widmen. So jubilierte er schönen Blumen zu, genoss jede Zeile eines guten Buches, hörte in voller Lautstärke alte Arien, kochte Jamie Olivers Bücher rauf und runter, blödelte mit den Kindern seiner Schwester, die ein Stockwerk unter ihm wohnten herum oder er stand nur still auf dem Balkon, blinzelte in die Abendsonne, machte dort tiefe Atemzüge und zog hin und wieder an einer Zigarette.