Nochmals 17 sein

  • Post published:5. Oktober 2020

Youtube ist ja eine ziemliche Musikgefühlsspülmaschine. Bei mir begann alles mit der Eingabe von „Michael Jackson“ im Suchfeld, worauf ich sanft zu Bruno Mars‘ pimpig aber heftig shakendem „24K“ weitergeleitet wurde, neugierig bei diesem Künstler hängen blieb und schliesslich bei dessen Song „Versace on The Floor“ landete. Nein, das Video dürft (vielleicht: müsst) ihr euch sparen (Spoiler: Luxushotel, Bruno und eine aufgebretzeltes Chick haben ihre Zimmer nebeneinander, er spielt Klavier und wirbt als gäbe es kein Morgen, sie lässt die Hüllen fallen, der Song ist fertig, es klopft an seiner Tür… OMG. Ist das wirklich sein ernst?). Aber! Halt! Die Energie! Die Energie der Musik, die dürft (vielleicht: müsst) ihr euch unbedingt reinziehen, sie ist absolut hammermässiggrossartig, Zuckerwatte hoch drei: Kitschiges Synthie-Intro, triefige E-Moll-Strophen, himmelhochjauchzende Refrains, ein Steigerungszwischenteil, natürlich mit wunderbar verschlanktem Rhythmusinstrumentarium, Finale, WUMM! Dopamin intraohrös. Wäre da eine Rakete: man würde locker federnd einsteigen und ohne zu zögern wuchtig den roten Knopf Richtung Mars (oder wohl besser Venus) drücken und davonrauschen. So fühlte sich verliebt sein mit 17 an. Tupfgenau so. Der Himmel voller rosaroter Geigen. Die Möglichkeiten, was da alles im Leben noch kommen möge: fühlbar unbegrenzt. Alles erreichbar. Du musst nur wollen. Du schaffst das. Heiliger Strohsack!

Nun, mit etwas mehr als einem halben Leben mehr auf dem Buckel, nüchterner betrachtet und durch die Realität geschüttelt (und gerührt), sind so pure Gefühlszustände natürlich seltener geworden. Aber wisst ihr was? Verliebt ins Leben kann man immer noch sein. Mal löst ein Kastanienbaum mit Herbstblättern, der in der frühen Samstagmorgensonne richtiggehend vor sich hinglänzt ein Glücksgefühl bei mir aus, mal ist es eine Passage in einem Buch („Anna der Indianer“), die mich zu Tränen rührt, mal ein Spruch meiner Kinder aus ihrem Zimmer, wenn sie schon lange schlafen sollten („Du halbe Portion Pommes-Frites“, Gröhl), der mich zum Lachen bringt oder wie jüngst eine Begegnung mit zwei alten Lehrerkolleg*Innen, mit denen mich eine Freundschaft verbindet, die ich nicht in Worte fassen kann.

Also liebe Leute: Ihr wollt wieder mal nach den Sternen greifen? So geht’s: Am Abend, wenn es bereits dunkel ist „Versace on The Floor“ auf die Ohren, sich unter eine Strassenlaterne stellen. Danken. Und dann mit Tanzen beginnen.