Für mich warst du immer so etwas wie das Gegenstück zur linken WOZ. Zwar etwas radikal in deinem rechtsbürgerlich-protzigen Marktderegulierung-heilt-alle-Wunden-Denken, aber doch immerhin mit so etwas wie einem Restanstand. Was ich an dir und deiner Gegenspielerin immer schätzte, war, dass du deinen Analysen sowie – und das vor allem – deinen Reportagen Platz zugestand(e)st. In einer Welt, in der die Aufmerksamkeitsspanne noch für ein Huschinfo-Instagramm-Reel oder eine tschäderige X-Botschaft reicht, war das wohltuend altbacken. Beharrlich versahst du dich deswegen mit dem Label «Qualitätsjournalismus». Und das hatte – Schnöder:innen links der Mitte hin oder her – durchaus seine Berechtigung. Wer nämlich beim Lesen einer der vielen, mittlerweile ziemlich schmal daherkommenden Tageszeitungen fand, ein Thema habe zu wenig Fleisch am Knochen, der wurde bei dir und deiner Wochenzeitungsopponentin sicher fündig und konnte sich fortan rühmen, ein schweiz-, europa-, oder weltpolitisches Problem oder Thema einigermassen in seinen Einzelteilen erfasst zu haben. Natürlich macht das – oh weh – heute kaum jemand mehr. Aber, dass du zumindest die Option dazu botest, das war mehr als löblich.
Nun aber muss ich dich rüffeln. Und zwar mit einer veritablen verbalen Blutgrätsche. Wer oder was hat dir bitteschön bei deiner jüngsten Imagekampagne ins Gehirn geschissen? Gestochen scharfe, visuell leider sehr ansprechende Bilder, die schon für sich selbst viele Fragen aufwerfen, verquickst du mit, ich kann es nicht anders sagen, hochnotpeinlich pseudozweideutig-provokativen Sprüchen. Wir sehen da also zum Beispiel neben den Weltpolitik-Bromancern Kim Jong-un und Wladimir Putin ein: «Gemacht für Debattenkultur», beim Foto einer vollverschleierten Frau heissts: «Gemacht für Aufgeschlossenheit», bei einer «All Gender Toilet»: «Gemacht für Kritikfähigkeit» oder bei der Abbildung eines mit Priestergewand bewehrten Ärmels, der ein dampfendes Weihrauchfässchen vor sich herschwingt, ein: «Gemacht für Offenbarungen». Das Problem ist doch, die Originalität einer auf Affront ausgelegten Plakataktion, ist wahnsinnig beschränkt. Der Geist von Benetton lässt sich eben auch bei intensivst-verzweifeltem Rubbeln an der Werberwunderlampe nicht x-beliebig reproduzieren. Aber wem die Abonnent:innen in Scharen davonlaufen, dem scheint in seiner Not jedes Mittel recht zu sein, oder?
Das metaphysische Gruseln überkommt mich aber, wenn ich mir Gedanken zu deinen Hintergedanken mache. Wenn ich mich nicht schwer täusche, lag doch deine urtümliche Stärke mal darin, eben gerade keine Zweitmeinung abzubilden, sondern nur eine. Und zwar eine solid-bürgerliche mit klarer Kante. Du hattest es nicht nötig, deine Meinungskontrahent:innen zu diffamieren, denn das ergab sich in der Regel von ganz alleine. Dass du rein überhaupt nichts mit deren Argumenten anzufangen wusstest, erschloss sich einem mehrheitlich daraus, wie du die Logik der eigenen Begründungen bis ins letzte Detail ausleuchtetest. Ende der Ansage.
Aber damit ist jetzt fertig luschtig. Im Internet findet man nach längerem Suchen, dass du mithilfe deiner jüngsten Offensive gerne mit dem Publikum in Austausch gehen, dass du Orientierung und Einordung anbieten möchtest. Wie nett. Wenn es denn wenigstens so wäre. Aber du brauchst die aufgeworfenen Themen ja nicht, um sie von allen Seiten zu beleuchten, sondern entweder, um zu zeigen, wie unnötig nebensächlich du sie findest (die unkritikfähige, scheisswoke LBQTQ-Bewegung), wie man aufgrund der «Faktenlage» (seht her, Geifer Geifer, dieses Bild sagt doch alles) gefälligst über den Islam zu denken habe (nichts, da durchs Band weg frauenverachtend) oder der reinen Provokation wegen (schnuckelig, diese harmlosen, die Bevölkerung mundtotmachenden Diktatörchen).
Dabei vergisst du aber einen entscheidenden Punkt (oder OMG, viel schlimmer, du vergisst ihn ganz bewusst nicht!). Nämlich, dass du die Gefühle von Menschen verletzt. Wie es einem durch einen Priester sexuell missbrauchten Opfer nach der Schändung (wohl eher den Schändungen) mit Traumafolgestörung ein Leben lang geht, das ist dir nämlich ziemlich egal. Denn durch diese «Offenbarung», wie du sie nennst (und nein, du spielst mit «Offenbarung» nicht primär auf eine christliche Erleuchtung als Alternativdeutung des Fotos hin, sondern supersekundär), verschaffst du dir auf Kosten Dritter die so sehnlich erwünschte Aufmerksamkeit. Denn nur diese liefert dir die nötigen Klickzahlen und hält, ganz praktisch als Nebeneffekt, deine Klientel bei Laune. Du folgst damit, eigentlich fast untypisch hip, dem modernen, rechtspopulistisch geprägten Zeitgeist.
Aber wieso sollte ich dir deswegen weiter Vorwürfe machen, liebe NZZ? Ich verstehe schon, es ist ein bisschen wie bei deinen Stammleser:innen von der FDP. Pardon, den Liberalen. Die machten auch mal eine zwar konservative und relativ stille aber durchaus erfolgreiche, da pragmatisch-halbinnovative Wirtschaftspolitik. Nachdem sich die Partei kurzzeitig als Umweltvertreterin ausprobiert hatte, versucht sie sich nun primär in der Rolle des aggressiv-lefzenden SVP-Sidekicks in der «rechten» Asylpolitik. Das ist, so wie auch der aktuelle Ausflug in die «linke» Bildungspolitik, die sie, «als Partei für Bildungsfragen selbstverständlich seit der Gründung des modernen Bundesstaates 1848» (so ihr sehr anpassungsfähiges Selbstbild für fast jedes gerade aktuelle Thema), betreibt und die sie mit revisionistischem Furor gerne zurück in «die Mitte» führen möchte, weder originell, noch steht es für das, wofür man sie still und heimlich jahrelang äusserst schätzte.
Drum: Wieso nehmt ihr euch beide nicht artig an der Hand und beherzigt den zwar etwas altbackenen aber für eure Vorhaben wenigstens zielführenden Leitsatz: «Schuster, bleib bei deinen Leisten». Dann geltet ihr zwar vielleicht wieder ein wenig als spröde und farblos, vor lauter knarzig-trockener Sachlichkeit, als ein wenig langweilig vielleicht auch.
Aber dafür seid ihr wenigstens glaubwürdig.