Neue Welt

  • Post published:28. April 2020

Als ich neulich in einem gelben Basler Vorortsträmmli sass und eine monotone, etwas blecherne Stimme die nächste Haltestelle mit „Neuewelt“ ankündigte, da war ich auf einen Schlag hellwach. Ich meine, an einem so richtig durchschnittlichen Tag einfach so aus einem hundskommunen Trämmli aussteigen und schwupps in eine neue Welt eintauchen, wie geil ist das denn? Die Szene schrie nach einem Realitätscheck, also sattelte ich kurzerhand meinen Rucksack und huschte im letzten Augenblick aus dem Tram. 

Als ich wieder festen Boden unter den Füssen hatte und meine Augen in voller Vorfreude was denn da kommen möge, langsam und bewusst wieder öffnete, war ich aber erst einmal bitter enttäuscht. Ich hatte es mir doch ein wenig spektakulärer vorgestellt, so mit Blitz und Donner und Sternchensalat halt. Mit all dem Zeug, was man also gemeinhin von verzuckerten Einhorngeschichten oder flotten Marvel-Comics-Verfilmungen her kennt. Aber Fehlanzeige: keine fliegenden Skateboards, keine Trolle mit einer Steinschleuder im Anschlag, kein Prinz auf einem Schimmel. Und ich? Ich schwebte nicht einmal auf einem Wölkchen vor mich hin. „Nanana neue Welt“, sagte ich halblaut vor mich hin, „gib dir gefälligst ein wenig Mühe.“ Aber auch die vier zirka 18-jährigen Schnösel, die bei der Haltestelle rumlümmelten, machten keine Anstalten etwas substantiell Neues zu verkörpern – zumindest modisch nicht – denn sie hatten bei grösster Arscheskälte alle wie letzte Saison ihre Chinohosen immer noch auf 3/4 hochgekrempelt. Laaaangweeeeeilig! Tja und auch die Basler Fussballfans scheinen noch nicht ganz in der neuen YB-Welt angekommen zu sein, anders lässt sich der riesige an einem Laternenpfahl geheftete Kleber mit der Aufschrift: „Über allem stohsch du. FC BASEL“ einfach nicht erklären. Arme Basler, kennen in ihrer verstrellerten Situation nicht einmal die aktuelle Tabellenlage. 

Etwas desillusioniert schritt ich die Haltestelle ab und gelangte zu einer Unterführung, wo ein paar Hobbykünstler legal in verschiedenen Sprachen „Neuewelt“ hingesprayt hatten: Nouveau Monde, New World, Mundo Novo, Ny Värld, Novi Svijet etc. Also ich will den Verantwortlichen der Basler Verkehrsbetriebe ja nicht zu nahe treten, aber nur weil jemand Google Translator bedienen kann und man ein paar Jungs etwas Braves sprayen lässt, heisst das eben noch lange nicht, dass sich da gerade eine neue Welt auftut. 

Leise enttäuscht ob dem wenig prickelnd Neuen, stieg ich ins nächste Tram und liess mich in den Basler Zolli wägelen. Als ich dann längere Zeit vor dem Affengehege verbracht und unseren Vorfahren beim Klettern, Fressen und ausgiebigen Faulenzen zugesehen hatte, dämmerte es mir plötzlich, was ich vorhin in der neuen Welt verpasst hatte, zu sehen. Erstens: Das Neue muss nicht immer von aussen kommen und zweitens: man kann dem vermeintlich langweiligen, wiederkehrenden Alltäglichen ganz schön viel abgewinnen. Man muss es nur neu interpretieren (wollen).