Liebe Automobilindustrie

  • Post published:9. August 2023

Wir müssen reden. Dringend. Seit du vor fast 140 Jahren auf die Welt gekommen bist, ging es immer vorwärts. Schneller, weiter, schnittiger. Du warst der Inbegriff eines Verheissungsvolle- Zukunft-Vorgauklers, von persönlicher Husch-Husch-schnell-weg-Mobilität, von Freiheit, von unbegrenztem, fast jeden Ort auf diesem Planeten erreichendem Warenverkehr. Und wir fielen auf dich hinein, denn das bist du ja ohne Zweifel: saupraktisch und saubequem. Ich gebe zu, auch ich mochte dich ausserordentlich. Als kleiner Junge imitierte ich mit Grimassen deine mannigfaltigen Hecklichter – in meinen Augen waren das alles unterschiedliche Gesichter, die mir lächelnd, gelangweilt, streng, traurig, verpeilt oder bas vor sich hinstaunend den Tag versüssten. Mein Vater war an dieser Begeisterung nicht ganz unschuldig. Der weisse, fünf Meter dreissig lange Chevi mit feuerrotem Lederinterieur, den er von seinem Vater geerbt hatte und mit welchem wir als Familie einmal pro Jahr zu unseren Verwandten nach Holland fuhren, hatte es mir mächtig angetan. Jakobine, wie er das Schlachtschiff getauft hatte, war nicht nur ultrageräumig und roch betörend nach altem Leder, sondern sie wummerte so einnehmend geschmeidig vor sich hin, dass mich noch heute ein heftig-zärtelndes Heimatgefühl befällt, wenn ein obermaskuliner Dodge Ram, der ähnlich tönt, an mir vorbeidonnert.

Tempi passati, liebe Automobilindustrie, die Leviten gehören dir trotz molliger Kindheitserinnerungen gelesen, denn du bist ein Schwein. Ein hinterrückes noch dazu. Erst stösst du jahrzehntelang in rauen Mengen CO2 aus, um dir dann, weil dich Existenzängste plagen, ruckzuck ein scheinheilig-grünes Mäntelchen umzuhängen. Du fährst nämlich jetzt mit Batterie und rechnest uns auch gleich bei jeder sich bietenden Gelegenheit vor, dass du über den gesamten Lebenszyklus viel besser bist, als noch mit den Verbrennungsmotoren. Keck sagst du, dass du dich des Planeten wegen bald ganz von den fossilen Brennstoffen verabschieden willst. Du elende Heuchlerin.

Aber weisst du, was mir am meisten stinkt, wenn ich dir auf deinem Weg vom Saulus zum Paulus zuschaue? Es ist nicht das chronische Schweigen über deinen immer noch horrenden Ressourcenverbrauch oder die Problematik der Recyclierbarkeit von monströsen Batterien, die wiederum auch von irgendeiner Stromquelle (mit Betonung auf «irgendeiner» – sprich egal welcher) gespiesen werden müssen. Nein, es ist dieser Zwang, deine jüngsten Würfe in Designerkorsetts einer noch fernen Zukunft zu zwängen, die das Ammenmärchen vom Fortschritt weitererzählen sollen. Deine leise vor sich hinschwirrenden, kubistisch-aggressiv aussehenden Batteriegondeln mögen in einer asiatischen Big City wie Seoul, Tokio oder Shanghai inmitten von Hochhäuserschluchten ja noch stimmig erscheinen. Zwooscht hingegen ein Hyundai Ioniq 5 durchs beschauliche Emmental, dann sieht das hingegen einfach nur hochnotpeinlich-anbiedernd aus. Ich sags ungern, aber einen einigermassen verkraftbaren Mittelweg fürs Auge begehen eigentlich nur die Modelle des grössenwahnsinnigen Elon Musk,  die Teslas.

Wo wir heute stünden, hätten wir uns die Ideen des Namensgebers Nikola Tesla schon zu Beginn des 20. Jahrhunderts zu Herzen genommen, ich darf es mir nicht ausmalen.