Lebensschule Migroslino-Kasse

  • Post published:20. Juni 2022

Migroslino beim Bahnhof Olten. Ich bin durstig und krame in meinem Portemonnaie tout juste die 90 Rappen zusammen, die nötig sind, um einen halben Liter Evian zu erstehen. Da kostet dieser an der Kasse aber eben doch nicht ganz Migros like 90 Rappen, sondern 1.20. Ich will schon die 10ner Note zücken, da sagt die junge Verkäuferin lachend: «Wie viel fehlt dir denn? 30 Rappen? Ach komm, lass stecken, ich nehme die Differenz aus dem Trinkgeldbecherli.» Ich muss schmunzeln, lehne aber dankend ab, sage, das gehe doch nicht, das Trinkgeld gehöre schliesslich ihr und ihren Kolleginnen und Kollegen. Und überhaupt, verdienen tue sie hier bestimmt nicht gerade wie eine Millionärin oder wenn doch, dann wisse die Migroslino dies unverschämt gut zu verheimlichen. Da antwortet sie – weiterhin lachend – ja, ja, das stimme schon, also das mit dem Verdienen, aber das Trinkgeld, das kriege sie schliesslich auch geschenkt, da könne sie doch damit tun und lassen, was sie wolle und es deshalb auch weiterschenken. Auf alle Fälle würde es für sie so stimmen, wirklich! Der Fall ist klar, ihre Ausstrahlung duldet keinen Widerspruch. Ich bin Schachmatt. Mit einem grossen Strahlen bedanke ich mich bei der Verkäuferin, nehme die Flasche vom Tresen und eile Richtung Gleis 11 von dannen. Aufgeladen vom Glück einer solchen Begegnung denke ich: Man kann an einem hundsgewöhnlichen Tag in einem hundsgewöhnlichen Migroslino schon sehr viel lernen. Nächstenliebe zum Beispiel, jemandem ein Lächeln schenken oder eben den 5er ausgleichen, um ihn gerade stehen lassen zu können. Ob das Menschen aus der Teppichetage von Migroslino auch so sehen und vor allem, ob sie das mit dem 5er auch so handhaben würden? Ich bezweifle es. Leider.