Hotel K.

  • Post published:11. Mai 2020

Ostschweiz. Das etwas abetackelte Hotel K. steht an einer befahrenen Kreuzung. Ebenerdig ist eine Dönerbude untergebracht. Im ersten Stock befindet sich eine Shishabar. Im zweiten hat es einige Zimmer. Es ist 13.30 Uhr und alle Eingänge sind verschlossen. Am Telefon sagt mir der Concierge, der Schlüssel werde mir in zwei Minuten oder vielleicht auch erst in einer halben Stunde vorbeigebracht. Ich wisse ja, Corona und so. Ich setze mich auf die Treppe vor dem Hotel, lehne den Oberköper gegen die Glasscheibe der Eingangstüre und rauche eine Zigarette. Die Schlüsselüberbringerin hat knallrot geschminkte Lippen und trägt (so wie ein 50er-Jahre-USA-Hausfraumodel) ein artistisch gewundenes Kopftuch. Sie spricht gebrochen Deutsch und gestikuliert ausgiebig mit den Händen. Als ich meine kümmerlichen Reste Südamerikaspanisch hervorkrame, schenkt sie mir ein zauberhaftes Lächeln. Im Zimmer öffne ich zuerst die rosarotgerüschten Vorhänge und das Fenster. Neben dem Autoverkehrslärm gesellt sich jener von fernen Belagsarbeiten hinzu. Ich lege mich kurz hin und bestaune den speziellen Grundriss des Zimmers. Die Türe ist ebenso in eine Ecke eingefügt wie die Dusche. Der riesige Flachbildschirm am Teleskoparm macht sowas wie ein Sechseck perfekt. Der Hunger treibt mich in ein Migrolino. Beim Eingang bellt mich ein Plakat mit „Dein Deal“ an. Darunter das Bild eines Buttergipfelis und die Dose eines Energydrinks. Ich mag mich ja vage erinnern, dass ich als Teenager die Kombi von einem Minipicwürstchen und einem Haribo-Quaxifröschchen durchaus passend fand. Dabei aber gleich von einem verallgemeinernden, positiven Deal zu sprechen, wäre mir wohl nicht in den Sinn gekommen. Sowas Saudummes muss man schon dem aktuellen amerikanischen Präsidenten überlassen. Der kann sowas. Mit Reiswaffeln und Caprice de Dieux (laktosefrei!) bewaffnet, schlendere ich durch die Altstadt. Als müssten sie sich für Suisse Miniature bewerben, strahlen die farbigen Riegbauten herausgeputzt um die Wette. Auf dem Stedtliplatz setze ich mich auf eine dicke Bank, welche um die prächtig blühende Linde herumgebaut worden ist. In der Nähe spricht ein Bänker im hier vorherrschenden liebenswürdig-tschäderigbreiten Dialekt über Performance. Er tut das sehr ausgiebig („Waisch da het d Perfooormanz aifach nöd gstumme. Aifach nöd!“) und je länger er dies tut, desto mehr schrumpft er in seinem perfekt sitzenden Anzug zusammen. Gleich nebenan kommentiert ein älteres Päärchen die Beschaffenheit der „Bradworschd“, die sie beim Metzg über die Gasse bezogen haben. Ich zücke mein Telefon und verabrede mich spontan mit einer früheren Arbeitskollegin. Sie lädt mich zu ihr ein und ich bin begeistert, wie grün die Umgebung dieser Stadt sofort wird, wenn man sich mit dem Bus in nur knapp zehn Minuten auf die sehr nahen Hügel hochchauffieren lässt. Auf dem Balkon tauschen H. und ich uns aus. Übers alleine wohnen, über Alltagssorgen, natürlich die alte Stelle und was aus den ehemaligen Arbeitsgspäänli geworden ist. Dankbarkeit überkommt mich, dass ich an so vielen Arbeitsorten so viel nette und inspirierende Menschen kennen lernen durfte. Nach einer Stunde ist mein Kopf randvoll und ich verabschiede mich etwas überhastet. Im Bus retour bin ich nicht der einzige, der eine Maske trägt. Obwohl man sich ans Social Distancing ja gewöhnt hat, bleibt das umeinander herumschleichen auf dem Gehsteig seltsam. Ein paar Jugendliche auf dem Bahnhofvorplatz zeigen allen, was sie davon halten – nichts – und klatschen sich jovial ab. Bei Mr. Rice finde ich ein Menu, das passt und versuche bei einem 20-Minuten-Kreuzworträtsel auf weniger grüblerische Gedanken zu kommen. Zurück in Hotel K. dusche ich ausgiebig und schaue mir einen Teil eines Fussballreplays (Liverpool-Barcelona) an. Wie so oft in Verbindung mit diesem Sport, frage ich mich, was wohl aus meinen alten Tschuttikollegen aus der Inter-C-Zeit beim FC Wabern geworden ist? Weil ich trotz Aufgekraztheit müde bin, zwinge mich in den Schlafengehenmodus. Halbherzig mache ich meine Qi-Gong-Übungen, lese einige Minuten in einem Buch (aktuell Pascal Merciers „Das Gewicht der Worte“), schlage die Bettdecke über mich, sende meinen Kindern in Gedanken einen Gutenachtkuss und schlafe trotz starker Muskelschmerzen für einmal sofort ein.