Fencheljagd

  • Post published:27. April 2020

Nein, Intoleranzen sind nicht lustig. Auch wenn sie laut irgendeinem bescheuerten Magazin, das ich jüngst bei einem Zahnarzt im Wartezimmer las, richtiggehend zum Statussymbol der heutigen Zeit geworden sind. Reizdärme mit Charme quasi. Aus der Sicht eines Betroffenen: Zuerst mag das ja vielleicht noch spannend sein, dieses akribische Gepröble, mit dem man so viel Hoffnung auf Besserung verbindet. Bald bleibt einem ein mögliches ha, ha, haaaaaa aber im Hals, beziehungsweise im Darm und erst recht im Hirn stecken. Warum? Gesellschaftsfähigkeit: Ade; Einladungen, auswärtsessen: oh weh; Blicke, Getuschel: lieber nie meh. Traurig aber wahr: Man schränkt sich nicht nur ein, sondern man wird auch einsam. Und so kommt es, dass wir gerne als Hypochonder Klassifizierten („Tue nid so schwierig, iss doch eifach normau“) beim Ansteuern eines Migros nicht auf deftige Kartoffelsalate von Annas Best, auf lecker belegte Laugenbrötchen, ein Schoggijoghurt oder mal ein Stück Pizza oder Spinatstrudel zusteuern können, sondern zielsicher ein Duopack Biofenchel anvisieren. Diese verzehren wir dann roh, weil Apfel und Banane – richtig – gehen auch nicht. Gerne knabbern wir im Nachgang hasengleich noch an ein paar Reiswaffeln rum, weil wir, nein, definitiv nicht genug hatten und diese – jawohl – allergenfrei sindMmmh lecker. Sättigend. Befriedigend. Chaffchaffchaff (Raspelgeräusch). Und zum Abschluss: ein Schluck Wasser. Zwei. Drei. Ein ganzes Fläschchen. Genial! So erfrischend!!! Schon klar, dass der Typ im Tram auf dem Sitz gegenüber, der gerade lustvoll in ein Dürüm beisst, beim Anblick meiner Kost denkt: „Wieder so ein spargeldünner Gsündelerspasti. Sick!“ oder vielleicht: „Klimafaschist ahoi. Statt einer Bratwurst auf dem Teller lieber eine Karotte im Arsch. Echt verdreht. Da ich mich aber nicht nur krank fühle, sondern labortechnisch durchaus auch Krankheitszeichen zeige, habe ich genau auf diese „stillen Blickanfeindungen“ oder nennen wir es „Krankzuschreibungen“ keinen Bock mehr. Und so laufe ich, anstatt Tram zu fahren. Esse zuhause am Stubentisch, anstatt bei Freunden oder im Restaurant. Manchmal dankt mir der Darm für die Bewegung oder für die Schonkost. Manchmal ist er beleidigt. Dann ist der Charme definitiv weg.