Der Kirschenmann

  • Post published:11. Juli 2022

Hier führen gefühlt 27 Tram- und 36 Buslinien durch, Migros, Aldi, Lidl, H&M, Manor und wie sie alle heissen geben sich auf ein paar Quadratmetern die Klinke in die Hand, Dönerbuden stehen neben Pizzerien, Schnitzelbuden und Confiserien, man kann sich Haare schneiden, Nägel lackieren, tätowieren und weiss der Herrgott sonst noch alles machen lassen und wenn man die Reisepapiere aller Anwesenden an einem Tag kontrollieren würde, sähe man, dass hier unbemerkt und meistens friedlich die halbe Welt aneinander vorbeigeht. Hier, wo im Restaurant Zum schiefen Eck Abgefuckte, Möchtegern-oder-tatsächlich-Junggebliebene und sonstige Paradiesvögel ihre Koffein- oder Alkoholspiegel pimpen. Hier, wo im Sommer die Luft fast tranchierbar ist. Hier am Claraplatz Basel. Und eben an diesem Platz stehen, weil das ganz gut reinpasst, neben der Clarakirche aktuell zwei aparte Marktstände für Puristen. Einer mit Aprikosen aus dem «Wollisch» (eine riesige Kantonsflagge schützt die Verkäuferin vor der Sonne und wahrscheinlich auch vor uns «Üsserschwiizern»), einer mit Kirschen (Baselland lässt grüssen). Ich selbst bin auch da. Kaputt und zerknirscht nach einem Ärztemarathon versuche ich mich auf einer Parkbank sitzend und das faszinierende Gewusel betrachtend soweit zu erholen, dass ich später einmal in einen der Busse Richtung Wettsteinplatz einsteigen mag. Soweit das Vorspiel.

Da bemerke ich am Kirschenstand einen «meh breit aus höche» Gerüstbauer, der sich soeben mit einer Engelsgeduld ein Schälchen von eben diesem Steinobst aussucht. Mit Fünftagebart, einem abgewetzten Käppi auf dem Kopf und im staubigen Arbeitsgewand sieht er eigentlich ziemlich hin aus. Jedoch verströmt er irgendwas fast überschwänglich Fröhliches. Fasziniert folge ich ihm mit meinen Augen zu einem nahen Brunnen, wo er erst ausgiebig seinen Kopf und seine Hände und dann ganz liebevoll seine Kirschen wäscht. Als er fertig ist, steuert er meine Bank an, fragt mit einem Zeigefinger, ob er sich neben mich setzen dürfe, worauf ich natürlich zu nicken beginne und «ja klar» sage. Da stellt er sein Schälchen in die Mitte der Bank und bedeutet mir mit einer fast schon zärtlichen Handbewegung, ich möge mich nur ruhig bedienen. Zufrieden Kirschen schmatzend sitzen wir eine Weile nebeneinander. Dann bedanke ich mich und gehe zur Busstation, er blinzelt zum Abschied grinsend.

Wie es ihm in diesem Moment wirklich ging, weiss ich zwar nicht, was ich aber sicher weiss: Diese Begegnung rettete mich von einem ansonsten rabenschwarzen Tag.

Danke Kirschenmann, danke!