Denkfehler

  • Post published:13. Oktober 2024

Ich stehe in der Spitalgasse und kaue gedankenverloren auf meinem grossen Alle-zwei-Wochen-Laugengipfel herum. Es ist Dienstagmorgen, die Stadt macht mit seinen grossmehrheitlich noch geschlossenen Läden einen etwas verschlafenen Eindruck. Der Warenverkehr ist aber bereits ordentlich angelaufen. So braust etwa vor der Amavita-Apotheke ein gedrungener Mann mit seinem Lieferwagen daher, steigt zackig aus, schwingt wuchtig die Hintertüren des Laderaums auf und reisst einen hohen Stapel länglicher, grüner Plastikchrattli zu sich heran. Bevor er in einem Hupf unter den Lauben verschwindet, klemmt er sich den Lieferschein längsseits gerollt in den Mund und schliesst mit einem angewinkelten Bein lässig, jedoch nicht ohne ordentlichen Wumms, die Klappen seines Fahrzeugs. Der ganze Ablauf verrät ein gewisses Mass an Routine und ist Ausdruck davon, dass es hier und jetzt kein Glauer verträgt. An der Seitenwand des Transporters ist in doppelter Ausführung ein Regenbogen angemacht. Einmal als raumgreifendes Naturfoto irgendwo in den Freiburger Alpen. Einmal als steifes und ewiggestriges Logo auf einem Medikamentenschachteli. Ohne aktives Zutun ploppt in meinem Hirn eine Mitte der 1990er Jahre im alten Wankdorf zu verortende: «YB wird gsponseret vor Mepha Pharma AG»-Tonspur auf. Der Sportklub hatte damals um sein nacktes Überleben gekämpft und begrüsste jeden Rappen mit lautem «Hurra» – ob die Scheine jetzt aus einem dubiosen Märchenland kamen oder von einer Chemiefirma aus Basel, war eigentlich jedem Berner und jeder Bernerin völlig Schnuppe. Damals als Teenager musste ich stets in mich hineinlachen, wenn die Physios aufs Feld zu einem hart Gefoulten hinliefen, weil in meiner Vorstellung mit diesem Geldgeber auf der Brust gar keine Anamnese mehr im Sinne von: «Wo, Admir, tut dir was wie fest weh?» stattfand, sondern man, ohne zu zögern, einfach die Abkürzung mit: «Chumm, Kehrli, friss, isch günschtig» nahm.

Laut der Aufschrift am Transporter wirbt der Schweizer Generikariese aktuell mit dem Slogan: «Doppelvorteil: Gute Medikamente zu gesunden Preisen». Ich steige ins Tram ein, das mich zu meinem Osteopathen fährt und hirne noch lange am perversen Denkfehler herum, den Mepha – hier stellvertretend für die ganze symptombasierte Pharmaindustrie – für einmal schonungslos ehrlich und für alle transparent öffentlich macht. Denn, wäre es nicht viel gescheiter, wenn ihr Credo genau umgekehrt heissen würde? Also: «Gesunde Medikamente zu guten Preisen?»