Am Ufer des Lago Biel sass ich… und schrieb

  • Post published:16. April 2020

Der Wetterfrosch hatte eigentlich anders gemeldet, nämlich Blau soweit das Auge reicht. Mit entsprechenden Temperaturen – wie immer in diesem verrückten Sommer 2018. Ich finde die Schleierwölckchen, die realpolitisch über dem Seeland schweben aber grandios, habe ich doch ein kleines Velotürli geplant mit einer Übernachtung im Einmannzelt in Erlach. Mit grosser Befriedigung nehme ich schon nach ein paar Pedaltritten wahr, wie sich das bepackte Mountainbike durch den feinen Kiesweg bewegt: wuchtig tönt es Wwwwww, Wwwww, Wwwww. Es gibt bekanntlich Leute, die lieben Motorenlärm. Ich bevorzuge das Klicken, Rattern, Summen und Schnurren von Gangschaltungen, Veloketten und Velopneus. Der Weg zieht sich den Zuggleisen entlang, mir gefällt die leichte Fahrtwindbriese und die unendliche Freiheit, die ich zu diesem Zeitpunkt spüre. Ich freue mich über das Unterwegssein und die Abenteuer, die bekanntlich bei Veloreisen unweigerlich am Wegrand liegen. Zumindest mag ich mich nicht daran erinnern, wie jetzt, kurz nach Ins, inmitten einiger Wohnblöcke, schon einmal einen lichterloh brennenden Toyota Corolla gesehen zu haben. Umrundet natürlich von zahlreichen Gaffern, die alle insgeheim darauf hoffen, dass vor der Feuerwehr vielleicht doch noch ein abgefackelter Stuntman durch die Szenerie rennt. 

Kurze Zeit später befinde ich mich wieder inmitten der fast endlos scheinenden gleichmässigen Gemüsefelder, welche nur hin und wieder unterbrochen werden von einem Bauernhof oder vereinzelten Kuhherden, die in der dürren Ebene grasen. Eben eine solche Kuhherde bewegt eine Bäuerin soeben von einem Futterplatz zum nächsten. Und wie sie das tut. In geblümtem, luftigem Sommerrock, die etwas festen Waden in groben Stiefeln versenkt, stapft sie in 7-Meilen-Schritten voraus, setzt behände  Zaunpföstchen und kommandiert die träge Milchmannschaft mit Montserat Caballé-Stimme „Hee hoo eee“ dorthin, wo sie sie haben will. Am Kanal, schon fast zur Mittagszeit, kommt die Energie beinahe zum Erliegen. Einige Fischer haben sich in die Schatten der Sträucher geflüchtet. Die Angel ist neben ihnen in einer Haltevorrichtung am Boden arretiert, aktiv auswerfen und einziehen, dazu reicht die Kraft nicht mehr. Müde zwängt sich ein etwas abgetakeltes Kursschiff sanft durchs Wasser, gefolgt von einem Schlauchbötchen, das nicht mehr als 2 km/h aufwenden mag. Dann kommt dennoch Bewegung in das träge Bild, eine Jacht schlägt wuchtig Wellen. Vorne auf dem Bug hat es sich ein Selfmademillionär bequem gemacht. Wie Ariel die Meerjungfrau liegt er in knappen Shorts, mit RayBan-Brille und braungebranntem Schmerbauch, die überdimensionierte Fotokamera im Anschlag, auf dem Bug. Klick, klick, klick, nein, was der nicht alles sieht! Am Steuer steht, Klischee hoch drei, eine Wasserstoffblondine mit voluminösen, rot geschminkten Lippen und einem Sonnenhut, der Schatten für eine Kleinfamilie spenden könnte. 

Ich freue mich darüber, dass gerade am Wasser alle Gesellschaftsschichten zusammenkommen, weil sie das Gleiche suchen: Natur, Ruhe, Frische, Entspannung und natürlich „Umelamäschele“ mit Eiscremefaktor. Herrlich. Ebenfalls herrlich dann beim Camping, wie ein Vater, der mit seinen Söhnen am Picknicken ist in eine Rechenaufgabe verpackt, wer noch wie viele Lyonerscheiben zugute hat und wie viele Früchte es der Gesundheit halber für jeden auch noch sein sollen. Es ist ein Leben und leben lassen. So kommt es auch, dass ich mich auf ein Gespräch mit dem etwa 55-jährigen Hans einlasse, der, fast am Ende seiner Kräfte, seine Kanutour unterbrochen hat, um, es lebe das Abenteuer, unter freiem Himmel zu schlafen, bevor es regeneriert weiter gehen soll. Leicht von Weisswein und Zigaretten durchgefedert, höre ich mir geduldig seinen Sermon zu den 1000 und einen Winden auf dem See an, was ich in der Nacht aber bereits bitter bereue, denn der Mann beschäftigt mich mit seinem Geschnarche aufs Übelste weiter. Um 05.15 Uhr kapituliere ich schliesslich und mache mich am Strand über mein Frühstücksmüsli her. Ist mir im Anschluss auch scheissegal, mein Zelt mit einigem Lärm noch feucht einzupacken. Meine Laune bessert sich erst, als ich ordentlich koffeiniert, einem aussergewöhnlichen Morgenspektakel von zirka 12 Lebewesen der Gattung „Homo Sapiens Bewusstitis“ beiwohnen darf: Stand-up-Paddel-Yoga. Fast hätte ich die Gruppe gekontert und einen 8½ minütigen Kopfstand gewagt. Unaufgewärmt. Luftanhaltend mit Kopf im Wasser. Hart wie Stahl. 

Der Uferweg, der mich anschliessend Richtung Biel in den Tag radeln lässt, ist dann die ganze Reise wert: Eine pittoreske Schilflandschaft, Wasservögel, die immer wieder im Wasser nach Nahrung tauchen, auf den seeangrenzenden Wiesen im Morgenlicht glitzernder Tau und als Zugabe ein Mann, der die Blache über der Führerkabine seines in Ufernähe geankerten Bootes innig mit einem regenbogenfarbenen Staubwebel reinigt. Dass er dabei einen tigerfarbenen Tanga trägt und dazu noch „Ö la Palöma Blanca“ trällert, bilde ich mir nur ein. An der Grenze zum Welschland, da ist es ja so, dass verschiedene Lebensformen prächtig koexistieren, was sich nicht zuletzt daran ablesen lässt, dass bei einigen Ferienhäuschen die Gartenhecken pingelig gestutzt werden, wohingegen unmittelbar auf dem Nachbarsgrundstück liegende eindeutig noch nie eine Schere gesehen haben. Oder da steht ein behelfsmässig zusammengezimmertes Holzhaus mit riesigem Ohm-Zeichen über dem Eingang, mit Jurte im kniegrashohen Garten und mit auf rostige Aussenhülle getuntem Fiat Ducato auf dem Abstellplatz gegenüber einer mit anthrazitfarbenen Platten ausgekleideten Villa, die mit einer für Panzer geeigneten Garageeinfahrt aufwartet und mit Sichtschlitzen im Dachgeschoss, die wie Schiessscharten aussehen, an eine militärische Trutzburg erinnert. 

Dankbar und satt von all den Eindrücken in so kurzer Zeit nehme ich auf Höhe Sutz-Lattrigen noch ein erfrischendes und Gedanken sortierendes Bad im See. Im Zug nach Hause beisse ich zufrieden in einen warmen Spinatkuchen und denke: so glücklich, nein, so glücklich war ich schon lange nicht mehr.