Arztpraxen sind das neue Eldorado für Innenarchitektinnen und Innenarchitekten. Beginnen wir aber von vorne. Zuerst gehört da beim Eingang auf alle Fälle etwas Milchglasscheibliges hin. Unbedingt. In der Regel im Verhältnis Dreiviertel zu einem Viertel. Um genauer zu sein: Dreiviertel volles Milchglas (im unteren Abschnitt) und ein Viertel transparentes Glas (man soll ja einen Blick in die tolle Praxis erhaschen können) gemischt mit Milchglas (im oberen Abschnitt). Wobei auf Augenhöhe oft und gerne mit Grafikelementen (Wellchen, Bälkchen, Streifchen, Dreieckchen, papipapo) oder am besten mit unfassbar originellen Logos gespielt wird. Sind die Praxen modern, gilt es, sich den Captain-Kirk-Effekt zunutze zu machen. Um das Gesundheitsraumschiff betreten zu dürfen, müssen die Patient*innen null Kraftaufwand betreiben, denn das lösen wie von Geisterhand bewegte Schiebetüren, die geschmeidig zur Seite gleiten (Botschaft: Hier darfst du dich ganz deinem fiesen Leiden und der symptomsupprimierenden Behandlung hingeben). Hallo und herzlich willkommen! Vorher aber bitte noch mit dem Pedal am rostfreien Edelblechspender die Hände desinfizieren, gell? Der neudeutsche, mit an feinen Drähtchen hängendem Plexiglas vor Virologischem aller Art alle Anwesenden schützende «Welcomedesk», befindet sich dann garantiert in Blickrichtung geradeaus. Verlaufen unmöglich. Verlaufen sowieso unmöglich, da jeder Raum mit einer eigens für diese medizinische Einrichtung entworfenen Schriftart benamst und jede Richtungsanweisung mit Dreieckchen, Pfeilchen oder, hach, urwitzigen Tüpfelchen signalisiert wird. Alles natürlich nicht zu gross, nicht zu klein, nicht zu fett, nicht zu dünn, dezent aber doch klar. Da man(n) sich nicht lumpen lässt (Botschaft: Dieser Praxis geht’s im Fall richtig gut. Und weisst du warum? Weil wir super gut sind!), schwebt man, beleuchtet von unterschiedlich grossen, kreisrunden in die Decke eingelassenen Lampen (Beleuchtungskonzept? Natürlich!) über frisch gebohnerten Eichenparkett zum Warteraum. Dort heissen einen eine Mischung aus sündhaft teuren, weissen Teo-Jakob-Schalensitzen, einem etwas Pepp reinbringenden, farbigen MSM-Regal (auf dem Cover der dort aufliegenden Schweizer Illustrierten wird dir die unverwüstliche Elisabeth Teissier entgegengrinsen, garantiert!) und die obligate grosszügige Topfpflanze (Repräsentantin der heiligen Dreifaltigkeit: Natürlichkeit, Nachhaltigkeit, Wellnessoase) willkommen heisst. Ganz sicher zeigt dir dort angekommen die hoch im Kurs stehende «Clocktwo» dann an, dass es jetzt gerade «FÜNF VOR IRGENDWAS» ist und der Countdown zu deinem Mordor unerbittlich läuft. Aber: bitte lächeln! Und wenn nichts hilft: darfs ein Gläschen Wasser aus dem gurgelnden Hochleistungsdispenser sein! Mit Sprudel oder ohne? Gekühlt oder in Zimmertemperatur? Glugggluggglugg. Zur Toilette? Ja, aber sicher doch! Sie wissen bereits wo? Prima! Augengeklimper, Beinahe-Klatschklatschklatsch vor Freude! Selbstverständlich ist diese dann mit türkischen Fliesen ausgelegt (ein bisschen orientalisches Flair muss sein, Darling!) und mit einem WC-Deckel bestückt, der sich nach jeder Benutzung in einer seidig eiernden Bewegung von selbst reinigt.
Dieser ganze, trotz allen Fluffypuffy-Bemühungen, sterile Einrichtungszauber verquickt mit den standardisiert-funktionalen Arbeitsabläufen hat natürlich nur einen Zweck: das Vorgaukeln von Kontrolle. Du bist «safe», Baby, hier ist alles steuerbar! Was auf die Untersuchungen und deren Abläufe sowie auf Labormessungen oder Röntgen zwar zutreffen mag, auf die Gesundheit der Menschen aber eben gerade nicht. Denn diese ist zwar erheblich beinfluss- jedoch nie beherrschbar. Nie. Gottseidank wird die scheinbare Perfektion der geleckten Arztpraxensignaletik aber in der Regel immer mindestens an einer Stelle durch die vor Ort arbeitenden Menschen gebrochen. So bittet einen etwa ein mit gewöhnlicher Handschrift beschriebenes A4-Kopiererblatt, das mit Tesafilm sehr behelfsmässig an die Klotüre geheftet ist, die Handtücher doch bitte nicht in die Toilette zu werfen, denn es drohe akute Verstopfungsgefahr. Oder ein Post-it mit Stabilo-Leuchtschrift weist einen in demselbigen WC darauf hin, dass beim High-Tech-Lokus gefälligst nirgendwo gewaltsam gedrückt, sondern nur vor einem kaum sichtbaren Sensor gewunken werden müsse, damit ersterer seine Aufgabe erledigen könne.
Das nenn ich dann Artztpraxensignaletik 2.0.