Sonja – Zuckerberg – einfach

  • Post published:9. April 2022

06.23 Uhr. Es könnte schlimmer, nämlich früher, sein. Sonja bläst in den dampfenden Lindenblütentee, der vor ihr auf dem Bauerntisch steht und guckt in die Nach-Zeitumstellung-Wiederdunkelheit. Lauscht. Horcht in den anbrechenden Tag. Bis auf vereinzeltes Schafgeblök und fröhliche Frühlingsvogelstimmen, Stille. Kein Autolärm. Keine städtische Hektik. Keine Griesgramgesichter, die dir in die Küche glotzen. Angenehm. Eigentlich genau das, was sich Sonja vor 10 Jahren vom Wegzug aufs Land erhofft hatte. Treffer. Routiniert legt sie sich, nachdem sie sie leicht angepustet hat, eine dunkelgraue Haarsträhne über das linke Ohr, richtet sich ihrer Brille, studiert kurz, welche Gartenanbauprojekte für sie als Fast-Selbstversorgerin anstehen und merkt plötzlich, dass sie irgendetwas schuderhaft aufregt. Nur was? Nun ja, sie wird heute 50 Jahre alt. Okay. Kann man mal so machen: ein halbes Jahrhundert, das ist nicht nichts. Das musst du erst mal hinkriegen. Ist irgendwie sogar eine stolze Sache. Aber Sonja ist jetzt nicht so der Typ Mensch, dem in einer Haarnadelkurve eine sorgfältig tief im Innern versteckte und gepflegte Midlife-Krise neckisch mit Strohhut salutierend entgegenkommt. Dafür ist sie, sie muss selber über diesen kruden Gedankensalat schmunzeln, schlichtweg zu alt. Es ist auch nicht die vermaledeite gefrorene Schulter, die ihr immer bei Hudelwetter zusetzt. Weil Alter, das sagt sie jedem, der es hören will, ist kein Wunschkonzert, da gibt es nun mal Bräschtelis und es geht um einen Werterhalt, den es mit möglichst breitem Grinsen, sprich Training, gesunder Ernährung oder Saubihans anzustreben gilt. Nein, was ihr dicke auf die Hühneraugen geht, ist ein Milliardenschnösel ennet dem Teich, dessen Erfindung sich ungefragt in ihre Hirnwindungen reinfrisst, sobald sie ihr Handy schon nur anschaltet! Kaum tut sie dies nämlich, so wie gestern Abend, ploppen ungefragt die absolut behämmertsten «Inserate in deiner Nähe, die dich interessieren könnten» auf, die Sonja je gesehen hat und welche sie ernsthaft an ihrem Verstand zweifeln lassen. Denn was bitteschön hatte sie auch nur im Entferntesten mit einem rosaroten Trainingsanzug mit der mehrmaligen Aufschrift «Queen», einem tiefergelegten Audi Quattro S4, High-Heel-Schnürledersandalen oder einer monströsen Chalet-Villa zu tun? Was? Jetzt, Schöberli, kocht Sonja innerlich, jetzt ist Handeln angesagt, weil jetzt reichts! Also nimmt sie ihren digitalen Knochen, löscht beherzt alle Metakackicons (wer sie erreichen will, findet Wege, Punkt), hält inne, reinstalliert das weisse «f(uck)» auf blauem Untergrund, friendet den CEO dieser Bude, öffnet ein Nachrichtenfenster und beginnt zu schreiben: «Dear Mr…… or shall I call you egghead? Concernig your lousy, crappy, absulut shitty ads, let me tell you…»