Corona und Panflöte – passt (für du weisst schon wer)

  • Post published:3. Mai 2020

Eine sehr gute Freundin von mir leidet seit Jahren unter Angst- und Panikstörungen. Obwohl dies ihren Aktionsradius ziemlich einschränkt, lässt sie sich aber in keiner Weise die Magie des Lebens vom Butterbrot nehmen. So kann sie etwa eine gefühlte Ewigkeit fasziniert eine Blumenblüte betrachten, mit viel, viel Ausdauer immer wieder ihre Wohnung umgestalten, in meditativer Kleinstarbeit aberwitzige Collagen anfertigen oder genüsslich auf dem Balkon die Beine hochlagern, eine Zigi schmauchen und dabei nur eins haarfein auf sich wirken lassen: das aktuelle Wetter. Tönt nicht so anspruchsvoll? Dann bitte erst einmal nachmachen! Kurz: Ich kenne niemanden, bei dem auf so wenig Raum so viel Universum Platz hat. Andere nennen das Fokus.

Vor einigen Tagen nun erhielt ich, coronabedingt frei Haus, so eine Wahrnehmungslupe verpasst und zwar deftig. Nach sechs Wochen ununterbrochener Anwesenheit in meiner 1-Zimmerwohnung in Grosshöchstetten musste ich wegen einem Arzttermin nach Bern und war ob der bizarren Stimmung in der Bundeshauptstadt fasziniert. Noch nie kam mir Ruhe so laut vor*: die nervös wechselnden Werbetafeln im Bahnhof, die heiter tuschelnden, kompakt in Viererformation dastehenden Wanderausflugsfamilien, die Jugendliche, die mit übergrosser Sonnenbrille und federndem Schritt ein genial-grelles Zitronen-Sommerkleid spazieren trug, die sich komischerweise in absolut normaler Lautstärke austauschenden Alkis hinter der Heiliggeistkirche, das Surren der vielen Fahrräder auf den Strassen oder die Anschriften auf den Schaufenstern in den Lauben (z.B. „#takeover“ beim Esprit….aha, oder vielerorts natürlich: „Wir sind auch online für dich da!“, gefolgt von einem dramatisch-theatralischen: „Häbet Sorg!“). Als ich mir am Helvetiaplatz beim Kiosk eine einzelne Zigarette erstand (das ist dort – notabene mit einem Lächeln überrreicht – noch möglich, danke!) und damit ins angrenzende Pärkli setzte, hörte ich das Blätterrascheln der prächtig hellgrünen Laubbäume, das Schmatzen von zwei alten Damen, die sich gemeinsam auf einer Bank in korrekter Distanz je ein Kafiglacé gönnten oder das Rotz hochziehen des Bauarbeiters, der beim Historischen Museum einen neuen Fussgängerstreifen auf den Boden malte.

Wenige Meter daneben hielt ein stylischer älterer Mann mit grauem Pferdeschwanz und einer Art Cowboyhut auf dem Kopf seinen Stromer an, nur um einer Mutter, die mit ihrem Sprössling auf dem Arm den geschäftigen Spatzen zuguckte, ein nettes Kompliment für deren Hosenanzug zu machen. Danach schwirrte er sofort wieder von dannen und ich dachte mir (wie so viele), dass diese Viruskrise schon eine einmalige Chance ist, ganz allgemein wieder liebevoller miteinander umzugehen. Es kann doch nicht so schwer sein, sich hin und wieder was Nettes zu sagen oder etwas Gutes zu tun? Eine positive Grundstimmung machte sich in mir breit und endete in fast schon ausgelassener Heiterkeit, als ich bei einer Confiserie in einem anderen Quartier las, dass man kontingentmässig dann ins Geschäft eintreten dürfe, wenn die… Panflöte ertöne. Super! Entweder holt sich der Bäckermeister ein Stückchen weite Welt ab Dose in den Breitsch oder er ermöglicht einem peruanischen Bahnhofplatz-Strassenmusikant Kurzarbeit. Beides schien mit in diesem Moment plausibel. Alles nur eine Frage der Betrachtung. 

*P.S: Literaturtipp: „Die Stille ist auch ein Geräusch“ von Juli Zeh. Eine Art Reisetagebuch der Schriftstellerin über ihren Aufenthalt in Bosnien-Herzegowina kurz nach den postjugoslawischen Kriegen. Der absolut helle Sprachwahnsinn!