Der Mann am Telefon

  • Post published:24. April 2020

Der Mann am Telefon sass hinter mir im Tram. Ich sah ihn zwar nicht, aber ich bekam doch ziemlich viel mit, denn der Mann telefonierte a.) laut und b.) lange. Bei seinen Telefonaten schien es in alle Himmelsrichtungen zu gehen, wobei es um allerlei Verschiedenes ging: In Italien bei Alfredo schien die Sonne (und wie sie schien, hei), die Fasnacht in Albisrieden, so das Gespräch mit seiner Mutter sei sauglatt gewesen, ja ja, er pflichte ihr bei. Dann: „Hallo Heinz, der Auspuff beim Golf GTI, iu, der scheppert. Kannst du dir das ächt mal angucken.“ Oder zuletzt: „Ja Sälü Hannes, hast du den letzten Tatort auch gesehen. Kool oder, rassig, rassig hä, rassig.“ Und und und. 

Es war also allerhand los im Universum des Mannes am Telefon. Die Abfolge der Geschichten war aber so wild durcheinander und der Vortrag mit leicht lallender Stimme präsentiert, dass es sich a.) nur um einen Besoffenen oder b.) um einen leicht Verwirrten mit Expositionsdrang handeln konnte. Zugegeben, der Nervfaktor in meinem Dampfkopftopf stieg exponentiell an. So laute Plaschaueris, das zieht mir immer leicht die Gedärme zusammen, ja, ich fühle mich belästigt, einfach nicht kommod, genervt. „Gottseidank“, schwirrt es mir im Kopf herum, „kann ich diesen Quasselkopf bei der nächsten Station verlassen, aussteigen und habe dann wieder meine wohlverdiente Ruhe.“ 

Als ich mich umdrehte, um zur Tür zu kommen, sah ich den Mann am Telefon. Es war ein Mann mit Trisomie 21. Das Telefon, das er sich ans Ohr drückte, war seine Hand, also mit einem ausgestreckten Daumen und kleinem Finger. Meine schlechte Laune war mit einem Schlag weg, denn der Mann parodierte in meinen Augen in dem Moment aufs Schönste unsere hypermobilgeschwätzige Gesellschaft. Immer am Draht, um dann einfach irgendetwas durch den Orbit zu kommunizieren. 

Obwohl halt. Ich mit meinen verdammten Vorurteilen. Ich will niemandem unrecht tun. Weder dem Mann mit Trisomie 21, dessen Telefonate genauso wichtig und in seiner Welt real gewesen sind, noch dem zirka 26-jährigen Mann auf dem Nebenplatz, der am Handy seiner Freundin enerviert mitteilte, dass ihm Frau Ryser, die blöde Kuh aus dem 3. Stock, wieder „dazwischengewaschen“ habe, obwohl der Wäscheplan doch klar eine andere Abfolge vorsehe.