Ricola – der etwas andere Lebensretter

  • Post published:30. November 2024

Die sozialen Medien, sie sind monsterhaft. Gefrässig verschlingen sie die Reptilienhirne unserer Kinder, machen uns weis, dass es für jede benötigte Dienstleistung «save» eine technische Lösung gibt und kleistern uns die Birne voll mit lustigen Tiervideos, ohmschen Lebensweisheiten und mit Produkten, die das Problem X ganz leicht mit einem Y zu lösen wissen, dazu muss man lediglich unten den Bestellbutton drücken und die Kreditkarte zücken.

Natürlich geht das nicht spurlos an mir vorbei. Am meisten tummle ich mich auf Instagram rum, denn ich mag dieses Teil – antiquiert wie ich bisweilen bin – für dessen ursprünglichen Zweck. Nichts bereitet mir nämlich mehr Freude, als Freund:innen, Kolleg:innen und Ex-Schüler:innen bei ihren fotographisch festgehaltenen Abenteuern zu folgen. Es ist mein Tor zu einer erweiterten (Reise-)Aussenwelt, welche mir den dringend benötigten Kontrast zu meinem reizarmen und sehr überschaubaren Alltag bietet.

Die blanken Zahlen besagen, dass ich aktuell 188 Menschen folge, wovon ich 141 tatsächlich auch in fleischblutigem Format kenne. Nicht zu unterschätzen sind die anderen 47, denen ich vor allem meine Aufmerksamkeit schenke, weil sie mir medizinisches Know-how vermitteln. Das birgt Chancen (wenn «body.chem» dir, feinsäuberlich filetiert, erläutert, warum es sich bei einem zu hohen B6-Wert im Serum häufig um einen funktionalen B6-Mangel in der Zelle handelt oder «nutrigenomik.nerd» dir in einem einstündigen Schlafstörungenspecial einige missing pieces für deine Beschwerden liefert, dann ist das ganz grosse Klasse) aber auch Risiken. Denn die Algorithmen spülen dir, ganz nach dem Motto «Gleich und Gleich gesellt sich gern», unbarmherzig ähnlichen Content rein. Aber nur weil ich A folge, muss ich doch nicht zwangsläufig auch B folgen, tamisiech. Von mir aus mögen die B’s auch viel wissen aber sie haben üblicherweise den Hang, penetrant gschissen gscheit vor sich hinzulabern und so zu tun, als seien sie die Pionier:innen auf diesem Themengebiet, bwäh pfui (das tun die A’s übrigens nicht, weil sie, persönlich von Unpässlichkeiten betroffen, wie sie häufig sind, viel demütiger daherkommen). Im Schlepptau der B’s schleimen dann die C’s rum. Das sind diejenigen, die so tun als wüssten sie so viel wie die A’s und B’s (was sie eindeutig nicht tun), denen es aber eher ums Verticken von Quick-Fix-Produkten oder von dürren 0815-«Ich-war-mal-in-einem-Hypnoseseminar-und-kann-dir-jetzt-auch-helfen»-Beratungsangeboten geht. Genau von diesen C’s wird bei Instagram wahnsinnig gerne Werbung aufgeschaltet. Nennen wir sie doch der Logik halber die D’s. Und diese D’s wiederum sind es genau, die wirklich die Pest sind.

Neulich fragte mich also gerade so ein im Staub vor sich hinkriechendes D reisserisch-tränenreich-pseudoempathisch: «Du fühlst dich noch immer nicht so, wie du wirklich bist?» und wollte mir einen 28-tägigen Online-Retreat schmackhaft machen, als es genial-brachial von einer anderen Werbung aus meinem Gesichtsfeld geboxt wurde. Und zwar von Ricola. Dabei hält der vierschrötige, mit Pudelmütze bewehrte Niels Hintermann, schön inszeniert in einem gelb-grün-heilpflanzligen Nr. 1-Startnummernleibchen und flankiert von den Siegerfaust streckenden Überflieger:innen Wendy Holdener und Marco Odermatt, ein lächerlich kleines Döschen Lutschpastillen in die Kamera. Dazu steht in grossen Lettern geschrieben: «Für eine Saison voller Schweizer Helden.»

Ob Ricola tatsächlich die Fähigkeit hat, unsere Skifahrer:innen (noch) besser zu machen, wage ich zu bezweifeln. Ich habe da den leisen Verdacht, dass sich ausgiebiges Training mehr ausbezahlt.

Lebensrettend im virtuellen Raum war der kleine Kräuterriese für mich aber allemal.