Es ist bestimmt zwei Jahre her, dass ich im Reisezentrum der SBB in Bern auf einem dieser unbequem harten Schalensessel, die dort entlang der Fensterfront aufgereiht sind, sass und genau das machte, was der handybeschwippste Zeitgeist eigentlich kaum mehr zulässt, aber was dieser Raum mit seinem supidupi Nummernzettelchensystem von mir verlangte, nämlich warten. Ätzendes warten. Kombiniert mit der leise vor sich hinköchelnden Wut über meine eigene Dummheit, die es mir erlaubt hatte, am Ticketautomaten mit Eile ohne Weile husch, husch ein Vollpreis- statt ein Halbtaxbillet nach Basel zu lösen (was ich in eben diesem Reisezentrum rückgängig zu machen gedachte), ergab dies, durch harte Unterkoffeinierung noch zugespitzt, summa summarum eine sehr, sehr schlechte Laune.
Während ich in Gedanken noch dampfablassend mit einem Baseballschläger an der Massakrierung all dieser nervtötend-tutenden digitalen Ziffern über den Schaltern arbeitete, bemerkte ich neben mir ein junges Päärchen, das vergnügt vor sich hintuschelte, hinkicherte und hinhändchengrabschte. «Moment», dachte ich, endlich meinen kleinen Privatfeldzug unterbrechend, «ist der Typ mit dem Schelmengesicht unter der peinlichen Pudelmütze nicht etwa dieser aufstrebende Berner Sportler?» Da das Universum es heute doch noch gut mit mir meinte, tat mir dessen Freundin schon beim unmittelbar nächsten «Du-bist-dran-Pling» den Gefallen und gab mir den Namen des Burschen, der an dieser Stelle selbstverständlich anonymisiert ist, preis: «Allez Mischu, du grosse Tiger, schnapp dr üsi Ticks, gogogoo.» Mischu liess sich – den verdienten Kurztrip nach Weihnachten vor Augen – natürlich nicht zweimal bitten und hoppelte wie ein Duracellhäschen davon. Noch keine Minute war verstrichen, als Mischu im Laufschritt zurückkehrte, peinlich berührt seine Finger knetete und seine Freundin fragte: «Sarah, wenn isch nöime di Geburi?» Natürlich sah Sarah (auch ihr Name selbstverständlich anonymisiert) ihren Freund zuerst verdutzt-ungläubig an, dann blähte sie aber rasch ihre Nasenflügel und putzte Mischu Berndeutsch gesprochen so richtig ds Möösch: «Mischu, isch das di fucking Ärnscht? Dä chasch itz nid bringe, e huere Lööl bisch, am 19. Ouguscht 2002! Merk drs gfelligscht.» Worauf Mischu wiederum zwar reuemütig seine Augen senkte und ein schnelles: «Ja, sorryyy» hinhauchte aber auch – Marke Filou halt – die Mundwinkel zu heben begann. Dies schien Sarah zu besänftigen. Zwar spielte sie noch die Empörte und meckerte dem wiederum Richtung Schalter davondüsenden Sunnyboy ein «aso ehrläch, da isch me sit meh aus einehaub Jahr zäme u du hesch eifach scho vo überhoupt nüüt ke Plan» hinterher, dann überrollte sie aber bereits wieder sichtbar die ganze Zuneigung, die sie zu diesem Lausbuben empfand. Anders liess sich ihr nun erstrahlendes Honigkuchenpferdgrinsen auf alle Fälle nicht erklären. Da Sarah feststellte, dass auch ich zu schmunzeln begonnen hatte, hob sie, zum Zeigen, dass es sich bei dieser Angelegenheit hier nur um ein gottgegebenes Los handeln konnte, theatralisch die angewinkelten Arme mit den Handflächen gegen oben in die Luft, atmete ein entladendes «pffffff» aus und wiederholte gedehnt:
«Neeeei, aso ehrläch.»